1. Einleitung - Elisabeth Sophie Marie, die Bibelsammlung und das Besucherbuch
I. Die digitale Edition des Besucherbuchs zur Bibliothek und Bibelsammlung der Herzogin Elisabeth Sophie Marie von Braunschweig-Wolfenbüttel (1683-1767) erschließt eine sammlungshistorisch aufschlussreiche Quelle, die einen seltenen Einblick in eine fürstliche Privatsammlung des 18. Jahrhundert gewährt. In den Eintragungen des Gäste- und Stammbuchs (Cod. Guelf. 125.25a Extrav.) präsentiert sich nicht nur eine illustre Schar von Gästen beiderlei Geschlechts, sie wird auch personen-, sozial- und wissensgeschichtlich in besonderer Weise greifbar. Dieses Potential mit den Methoden und Vernetzungsmöglichkeiten der digitalen Sammlungsforschung voll auszuschöpfen, ist das Ziel der vorliegenden historisch-kritischen Edition. Sie flankiert damit die anderen Quellen und sammlungserschließenden Publikationen zur Bibelsammlung und Bibliothek Elisabeth Sophie Maries im Rahmen der MWW-Fallstudie "Weltwissen". Darüber hinaus ist das Besucherbuch ein aussagekräftiges Zeugnis für die Netzwerke seiner Besitzerin und deren Wahrnehmung als gelehrte Sammlerin.
II. Den Ruf als gelehrte Fürstin, als "Braunschweigs Pallas",1 erwarb Elisabeth Sophie Marie nicht nur durch ihre Sammeltätigkeit, sondern auch durch eigene Schriften, in denen sie kontroverstheologisch zu Unterschieden zwischen der katholischen und der lutherischen Dogmatik Stellung bezog, indem sie katholischen Positionen Zitate aus der Heiligen Schrift entgegenstellte.2 Die kinderlose, 1731 zum zweiten Mal verwitwete Herzogin3 zeigte hier also dasselbe Interesse am Bibelwort, das sie in größerem Maßstab ab 1740 mit dem Aufbau der Bibelsammlung in ihrer Witwenresidenz im Grauen Hof in Braunschweig dokumentierte.4
III. Die Bibelsammlung Elisabeth Sophie Maries, neben der sie auch eine beträchtliche, weniger spezialisierte Privatbibliothek von 3710 Bänden sammelte, zählte zu den bedeutendsten Sammlungen ihrer Art im 18. Jahrhundert. Sie bildet den Grundstock der heute im Bibelsaal der Herzog August Bibliothek aufgestellten Bibelsammlung.5 Wesentlichen Zuwachs erhielt die Sammlung 1743 durch den Ankauf der Bibeln des Hamburger Geistlichen Johann Georg Palm (1697-1743) sowie laufend durch kleinere Ankäufe von Privatsammlungen, Erwerbungen auf Auktionen und durch Schenkungen. Insgesamt kamen so bis 1764, als Elisabeth Sophie Marie ihre Bibelsammlung in die Herzogliche Bibliothek in Wolfenbüttel überführen ließ, über 1100 Bibeln zusammen.6 1752 erschien ein gedruckter Katalog, den der Braunschweiger Hofprediger und Bibliothekar Georg Ludolph Otto Knoch (1705-1783) erarbeitet hatte.7 Er war es auch, der mit den "Historisch-Critischen Nachrichten von der Braunschweigischen Bibel-Sammlung" (1749-1754) deren philologische Erforschung forcierte. Nicht zuletzt dank dieser Publikationen erlangte die Bibelsammlung Elisabeth Sophie Maries Bekanntheit, sodass gelehrte und adlige Besucher aus dem gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, aber auch aus anderen europäischen Ländern und selbst aus Übersee nach Braunschweig kamen, um sie zu bestaunen und zu studieren.
IV. Die Besucher aus nah und fern trugen sich in das Besucherbuch ein, das Elisabeth Sophie Marie sicher auch in Nachahmung der größeren und bedeutenderen Bibliothek in Wolfenbüttel führte.8 Die materielle Beschaffenheit wie auch die Art der Eintragungen deutet dabei darauf hin, dass das Buch ursprünglich als Stammbuch genutzt wurde bzw. Seiten eines älteren Stammbuchs nachträglich hier eingebunden wurden. Denn gerade die ältesten Einträge ab 1737 stehen auf eingebundenen Seiten mit einem kleineren Format als der Rest des Buches.9 Ab 1740 jedoch dürfte das repräsentativ eingebundene Buch als Besucherbuch der Bibelsammlung gedient haben. Zumindest stellen einige der Einträge, die bis 1762 von 358 Personen getätigt wurden, einen direkten Bezug zur Sammlung her und thematisieren deren Pracht und Reichtum an verschiedenen Ausgaben.10 Zum größeren Teil jedoch bedienten sich die Einträger des gängigen Repertoires an meist kurzen Stammbuchsprüchen und Devisen sowie dem Zitatenschatz aus der klassischen und zeitgenössischen Literatur. Das hier edierte Manuskript lädt damit nicht nur dazu ein, die Bibelsammlung Elisabeth Sophie Maries wie auch die Sammlerin selbst aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, sondern bietet darüber hinaus vielfältige Anknüpfungspunkte für die historisch arbeitenden, digitalen wie analogen Geisteswissenschaften.